Anforderungen an ein notarielles Nachlassverzeichnis

Ein notarielles Nachlassverzeichnis ist bereits formell offensichtlich unvollständig mit der Folge, dass der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Ergänzung der Auskunft hat, wenn es im notariellen Nachlassverzeichnis heißt, dass die Erblasserin nach Kenntnis des Schuldners während der letzten 10 Jahre vor dem Tode keine Schenkungen gemacht habe, die über Anstandsschenkungen hinausgingen.

Der Notar ist zu Nachforschungen ins Blaue hinein nicht verpflichtet. Pauschal gehaltene Ausführungen zu angeblichen Überweisungen des Schuldners begründen keine objektiven Anhaltspunkte für pflichtteilsrelevante Zuwendungen, die den Notar zu weiteren Ermittlungen veranlassen müssen; vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.03.2020, 1-5 W 19/20, BeckRS 2020, 4037

 

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Pflicht- und Anstandsschenkungen

Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, unterliegen nicht der Rückforderung und dem Widerruf.

Die so genannten Anstandsschenkungen sind von der Pflichtteilsergänzung ausgenommen sind. Bei Pflicht- und Anstandsschenkungen handelt es sich nicht um zu missbilligende Schenkungen, weil es im konkreten Fall einen Ansehensverlust des Erblassers oder eine grobe Unbilligkeit gegenüber dem Beschenkten bedeuten würde, wenn der Erblasser diese Schenkung nicht vornähme. aus Sicht der Pflichtteilsberechtigten Danach finden die Vorschriften der §§ 2325 bis 2329 keine Anwendung auf Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird.

Bei Schenkungen des Erblassers, die über den Pflichtteilsergänzungsanspruch nachträglich ausgeglichen werden, ist zu beachten, dass nicht schlichtweg alle Schenkungen hierunter fallen.  Zum einen ist es gar nicht möglich, jedes Sachgeschenk (z. B. Pralinen, Wein, Bücher etc.), das der Erblasser einem Bekannten oder Verwandten zum Geburtstag geschenkt hat, über einen Zeitraum von 10 Jahren zu erfassen. Zum anderen soll der Erbe Schenkungen vornehmen dürfen, die den gesellschaftlichen Gepflogenheiten entsprechen. Maßgebend ist unter anderem die örtliche oder gesellschaftliche Verkehrssitte. Anstandsschenkungen sind kleinere Gelegenheitsgeschenke zum Geburtstag, Weihnachten, zum Hochzeitstag oder zu einem Jubiläum etc.

De Weiteren werden sogenannte Pflichtschenkungen dem  Pflichtteilsergänzungsanspruch entzogen. Diese können gegebenenfalls auch einen höheren Wert haben, wie zum Beispiel die Übereignung des hälftigen Familienwohnhauses an die vermögenslose Ehefrau nach langjähriger unbezahlter Mitarbeit im Geschäft.   Dabei ist entscheidend, ob der Erblasser moralisch so stark zu der Schenkung verpflichtet war, dass er praktisch gar nicht anders konnte, als die Schenkung vorzunehmen. Das bedeutet, dass die Pflichtschenkung sittlich geboten sein muss, so dass ihr Unterbleiben dem Erblasser als Verletzung einer sittlichen Pflicht angelastet würde. Dabei ist jeder Einzelfall gesondert zu betrachten und bedarf der Interessenabwägung.

Die Frage, ob eine Pflicht- oder Anstandsschenkung vorliegt, beurteilt sich nach den objektiven Umständen.  Maßgeblich sind neben den persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten, ihre Lebensstellung, die individuellen Vermögens- und Lebensverhältnisse und gegebenenfalls  der Wert und die Bedeutung der  zu belohnenden Leistungen des Beschenkten.

Stellt sich heraus, dass die Pflichtschenkung zwar dem Grunde nach gerechtfertigt war, aber dem Umfang nach das gebotene Maß überschritten hat, ist lediglich der Mehrbetrag bei der Pflichtteilsergänzung zu berücksichtigen. Pflichtschenkungen werden z.B. angenommen bei  mehrjähriger unentgeltlicher Mitarbeit im Haushalt und Geschäft der Eltern sowie jahrzehntelanger Versorgung und Pflege des Erblassers.

Der Pflichtteilsergänzungsberechtigte muss zuerst beweisen, dass überhaupt eine Schenkung vorliegt. Gelingt dieser Beweis, trägt der Beschenkte die Beweislast dafür, dass es sich bei der Zuwendung um eine Pflicht- oder Anstandsschenkung handelt.

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